Friede verzweifelt gesucht

 

Ich habe sie tanzen gesehen: Graziös, hochgewachsen, barfuß, ihr Rhythmus nicht sofort nachfühlbar; sie waren ‚people of the soil‘ – die Beduinen in Israel. Das war 1969 und 1970, als der Arbeitgeber meiner Mutter, Herr Finkelstein mich eingeladen hatte. Er war wie ein Onkel für mich, ich wurde wie Familienmitglied bei ihm aufgenommen. Ich war auch vier Wochen im Kibbuz. Wie stolz sie auf die neuen Lebensmodelle waren, mit wieviel Enthusiasmus gearbeitet wurde. Viele verfolgte Juden waren aus dem Westen gekommen, hochgebildet und voller Elan, etwas Neues aufzubauen. Es floss Geld und es wurden z.B. Bewässerungsanlagen für die Wüste gebaut, während Schafhirte vorbeizogen oder auf Steinen saßen und schauten. Da war ein Gefühl der Überlegenheit von den Fleißigen für die Sternewandler und Tagträumer. Ich habe mir ein schwarzes langes Beduinenkleid mit Blumenstickerei gekauft und kam zurück als Blumenkind nach Stuttgart ans Theater, ungewöhnlich damals.*

Rückblickend denke ich, das ist der Konflikt:

The ‚pagan world‘  trifft auf die Zivilisation. Das ‚heidnische Ritual‘ auf ein ausgefeiltes modernes Bewusstsein…wie soll das zusammenwachsen können? Dachte ich damals.

Aber geht’s nicht gerade darum auf der ganzen Welt? Das Heilige Land ist der Spiegel. Nicht dass alle Palästinenser Nomaden waren, aber viele.

Und dann kamen die Ultraorthodoxen, als neue Israelis, die sich auch in enger Verbundenheit mit ‚ihren‘ Sternen sahen.

Und jetzt schreien die, die sich ermächtigt haben auf beiden Seiten: ‚Aug um Aug, Zahn um Zahn’…benützen religiöse Zitate.

Juden; Moslems, Christen, Hindus als Identifikation – aber liegt nicht im ‚unkonditionierten Menschsein‘ der uns friedenschenkende  Fortschritt? Für mich sind alle Menschen gleich und wir alle zusammen sind Kinder der Erde.

Doch weil alle sich an ihrer eigenen Kultur des Betens, Essens, Fastens und des Wohnens in unserer universalen technokratischen Welt festklammern, gibt es wieder starke Vertreter der Hindus, Christen, Moslems, Juden und viele andere.

Wieso töten sie sich gegenseitig und zerstören nebenbei mit ihren Explosionen, Gasen und Giften auch noch die Mutter Erde?

Und dazu die öffentliche Meinung in den medialen Netzwerken: Sie sieht schwarz/weiß, entweder du bist für Die oder für die Anderen, für das was als böse gilt oder als gut! Man hört schreckliche Worte wie ‘draufhauen’, und sagt sogar ‘auslöschen!’

Bush hat gesagt, ‘wir räuchern die Taliban aus ihren Löchern in Afghanistan’,  Netanyahu sagt, ‘wir löschen die Hamas aus’, Iran sagt, ‚wir löschen Israel aus‘. Was bewirken solche Gedanken? Die Taliban regiert heute nach dem schrecklichem Krieg in Afghanistan. Auch die Hamas kann man nicht auslöschen, höchstens die Menschen. Ihre gewaltvolle Gedanken, gewachsen aus Unterdrückung werden bleiben und in neuen Menschen auferstehen. Und wurden nicht diese Terroristen zunächst von jenen gegen kommunistische Ideen aufgebaut? (Taliban von USA gegen Russland und Hamas von Israel selbst gegen die PLO)

Dann die Angst auf der anderen Seite! Bei denen, die den Staat Israel mit so viel Liebe und Sorge aufgebaut haben, ist sie gewachsen aus der unaussprechbareren schrecklichen Verfolgung – sie  kann niemals verschwinden. Aber Netanjahu als Machthaber ist ihre Katastrophe, und wenn er geht, wird sein Wirken und seine kriegerischen Anordnungen weitere Konsequenzen nach sich ziehen.

Ich schlussfolgere: Seine Regierung ist gefährlich für Israel, er kann diesen zerstörerischen Krieg nicht gewinnen, höchstens vorübergehend. Das ist keine Verteidigung Israels, das ist Rache und Vernichtung. Das ist gefährlich für die gesamte Welt, und besonders noch für die jüdischen Menschen, auch die außerhalb von Israel. Sie gibt Nahrung für Antisemiten, gibt ihnen Reiz, um mit üblen Sprüchen aus ihren Löchern, in denen sie verkrochen lebten, zu kommen. „Pfui“, sage ich denen.

Israelische Schriftstellerinnen wie Zeruya Shalev klagen Netanjahu an. Judith Butler schreibt gegen die Gewalt der israelischen Regierung, und dass deren  Reaktionsweise das Thema der Bedrohung Israels nicht lösen wird.

Sophia war eine Frau. Schenkt den Frauen, Schriftstellerinnen und Philosophinnen Gehör. Verpönt diese ganze Meinungsmache in den Medien und im sozialen Netzwerk von zwanghaft agierenden  Journalisten, die sich ‘entweder/oder’ positionieren.

Kundgebungen ‘wir sind für Israel,’ oder ‘wir sind für Palästina’,

genauso wie

‘we stand with Ukraine’ oder ‚wir verstehen Russland‘ – alles ist nur ein überflüssiges Geraune aus unserer bequemen Position heraus.

Wir erahnen in unserem Luxusleben, dass die Gewalt im Machtstreben liegt und wir ohnmächtig sind, dagegen etwas auszurichten.

Gewaltlosigkeit im menschlichen Leben muss bleiben, sonst schreiten wir zurück in das dunkle Mittelalter. Niemals kann man sich auf dieser oder jener Seite  positionieren. Nach den Ursachen von Gewalt und Zerstörung suchen ist das Gebot der Stunde – anstelle vor lauter Agieren und Positionieren keine Zeit haben darüber nachzudenken, dass Kriegsgewalt zu neuer Kriegsgewalt auffordert und die wiederum zu neuer…in endloser Wiederholung.

Ich zitiere Stephan Hebel aus “der Freitag” Nr. 42: ‘Die Sicherheit Israels hängt langfristig auch davon ab, dass es mit Mitteln agiert, die dem internationalen Recht entsprechen und Konflikte nicht übermäßig eskalieren, so schwer das im Moment der Bedrohung auch ist. Darauf hinzuweisen wäre ein Gebot der Solidarität – und damit, wenn man so will, auch der deutschen Staatsräson.’

Sebastian Junger schreibt in seinem Buch TRIBE, Verlag 4th Estate: ‘Regaining our tribal connection – largely lost in modern society – may be the key to our psychological survival.’ Er meint, wir halten als Clan zusammen, wenn wir bedroht sind. Wir können nicht mitreden bei Dingen, die uns nicht unmittelbar widerfahren, aber in den Spiegel schauen und fragen, wie können wir uns selbst retten.

Wir sind friedlich, wenn wir geboren werden. Warum verlieren wir uns selbst? Das ist doch unser Lebensauftrag, Ahimsa im Yoga genannt, sich für Gewaltlosigkeit einzusetzen und kluge Pläne für Frieden zu schmieden. Den ganzen machtbesessenen Dämonen (stets zu wissen wer die Dämonen sind!) keine Unterstützung zu schenken, das sehe ich als Weg in die Zukunft.

Also es ist derzeit schlimm, schlimm und aufwühlend. Deshalb las ich etwas  wirklich leichtes  in dieser Zeit: Britney Spears’ Buch, ‘The woman in me’ – kindlich und einfach geschrieben, aber auch schlau: die fade Welt hinter dem Glamour, auch sich diesem Schein zu widersetzten…; wie es manipuliert wird in der Glitzerwelt zu verstehen, gibt uns allen Mut gegen die Dominanz von Mächtigen (der eigenen Familie, Plattenkonzernen, Managern, Filmbossen usw.) aufzustehen, Propaganda zu entlarven und bei sich anzukommen. Friede ist das, was wir wirklich sind.

*zusätzliche Gedanken: 71 war auch Fassbinder als gefeierter Star am Stuttgarter Schauspielhaus, er hat mein Beduinengewand nicht verstanden, damals  gab es so eine Tunnelvision unter Künstlern. Ich bin  nach London umgezogen.  Dort war alles internationaler und ich wurde durch meine Freundin Janet ein Familienmitglied bei Kassmans,  bei denen  im Haus in Kensington ich gewohnt habe. Sie  waren jüdisch und übten damals massiv Kritik am Verhalten Israels gegenüber den Palästinensern. Sie  haben mein Beduinenkleid geliebt, mit dessen Säume ich Londons Strassen gefegt habe. Wir haben das orientalische Leben gefeiert und ich fühlte mich durch sie jüdisch und weltoffen. Damals wurde ich auch Schülerin vom indischen Tanz.

2 Kommentare

  1. Was für wunderbare Worte liebe Anjali. Ja, für ein Miteinander műssen wir uns einsetzten. Das ist scheinbar unglaublich schwer für uns Menschen. Liebe Anjali, dein Leben ist geprägt von so vielfältigen Erfahrungen mit Menschen an so vielen Orten unserer Erde. Ich danke dir für den inspirierenden Workshop am Wochenende in Köln und ich hoffe du teilst weiterhin dein grosses Wissen und Erfahrung, deine daraus resultierende Erkenntnisse und deine Liebe mit uns. Ganz lieben Dank.♥️

  2. Vielen Dank, Anjali, für das Teilen deiner Gedanken und Einblicke. Vieles spricht mir aus der Seele. Musste in letzter Zeit immer wieder dran denken – angesichts der ganzen Unruhen, Kriegen, Unsicherheiten (Israel/Gaza,Ukraine, Klima, AI, AFD usw.) – wie wichtig die Idee von Ahimsa ist und was damit zusammenhängt (z.B. kein Schwarz-Weiß-Denken, nicht einander in Schablonen stecken und “entmenschlichen”, nicht zu Gewalt aufrufen etc.).

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