Ein Fremder in Base

Ein Fremder in Base

Fremd bedeutet von weit, sehr weit, hierher gekommen zu sein.

„Phantastisch, bester Platz hier, alles überragend gut!“ So und noch begeisterter waren seine Worte am ersten Tag. Er wolle sich in Base eine Weile einmieten, hatte er zuvor mit einer Mail angekündigt.
Er könnte doch die Ausgaben für den Platz zur Hälfte übernehmen! So ein Naturprojekt hätte er lange gesucht, fing er an mit großzügigen Angeboten am ersten Morgen, noch bevor er sich umgesehen hatte. Da Base jedes Jahr etwa 15. 000.- € Betriebskosten hat – Löhne für die Mitarbeiter, Instantsetzungen, das Auto, und vieles andere -, klang es in unseren Ohren wie Zuckerwatte.
„Ich“, so der Fremde, „bin der Erbe eines reichen Inders, der mich adoptiert hat. In seinem Sinne will ich mit dem Geld Projekte in Indien, die so toll wie das Eure sind, fördern.“

Wir hörten bald eine spannende Geschichte: Über ein Sikh-Ehepaar in Nordindien, das seinen einzigen Sohn bei einem Unfall gerade dann verloren hatte, als er, unser Fremder, als Gast-Student bei ihnen Unterschlupf bekam. Wir hörten auch über seine Farm in einem fernen Land, über seine großartigen Häuser, von denen das hervorragendste abbrannte, so wie von seiner Liebe zu einer auserlesenen Schönheit, einer einzigartigen Frau, die ihn verließ, nachdem er einen dunklen Schatten über ihren paradiesischen Platz auf einer Insel im Pazifik kommen sehen hatte. Er hätte ihn in Gestalt eines lebenden, riesengroßen Gespenstes, das sich vor ihm auf den Boden legte wie ein plötzlich gelandetes UFO, wahrgenommen. Die Zeit der Wonne und des Glücks hätten hiermit ihr Ende angekündigt.
„Es muss ein böser Geist gewesen sein. Danach zerbrach das alles. Nur ein kleines Stückchen Land konnte ich erhalten, sonst haben wir alles verkauft. Dort verweile ich heute oft allein. Große Weltstars wie Pierce Brosnan leben in meiner Nachbarschaft.“
„Ach der Pierce, mit dem hab ich vor einer Ewigkeit in London im off -Theater gespielt“ sagte ich lässig am Feuer vor unserem Rocket-stove in einer kalten Silvesternacht. Vielleicht waren meine Worte zu lässig gewählt, und vielleicht war ich zu wenig beeindruckt von dem Fremden und seinen Erzählungen.

Ich trat in die Nacht und roch die feuchte, kalte Luft eines großen Laubareals, welche unser Steinhaus umgibt. Die breite Granitsteintreppe führt direkt in den dichten Rosenholz-, Mahagoni- und Ebenholzwald. Der leeren Raum, der zum Tanzen und die großen Erkerfenster, die zum Träumen einladen, hatte die Inspiration gegeben. Die Schwingungen des Urwalds empfingen jetzt Sinne und Gemüt. Nein, so einen Geist kann ich mir hier nicht vorstellen, er kann auf diesem Grundstück niemals landen! Affen, Wildschweine, die Stachelschweine und die Elefanten, dazu die Falken, Pfauen und unzählige kleine Vögel würden ihn hier nie eindringen lassen. Worten und Gedanken, die gesamte menschliche Vorstellungen und ihre Fata Morgana sind hier Nebensache. Im Zentrum steht der Atem der hohen Bäume und der mit ihnen im Einklang lebenden Tierwelt.

Der angereiste Mann lief mir hinterher in die Nacht des Neujahrs und seine Worte bliesen schrill um meine Ohren:
„Hier ist es wie bei mir auf meiner Insel, ich fühle mich zuhause. Ich könnte ja das angrenzende Land kaufen und die Waldzone somit erweitern!“ schwallte er lauthals.
Außerdem könne er ja hier ein Haus mit seinem Geld bauen und Base erweitern, schließlich sei er Architekt und das hier passe alles zu ihm, quasselte er weiter, mit seiner lauten Stimme, Optimismus verkündend, ohne dass ich darauf einging.
„Ja, klar, bis morgen früh im Neuen Jahr erst einmal!“ sagte ich.

Später im Schlafzimmer unseres kleinen Hauses tauschte ich mich mit Sriram über ihn aus. Einerseits waren wir geschmeichelt von seinen Ideen, Base mit uns zu stemmen. So müssten wir die Zukunft nicht allein schultern. Andererseits hatte er viel zu große Ideen. Aber ist das nicht gerade befreiend, das großzügige Denken, das Geben? Unser Gespür für Balance in den Dingen, war ein wenig durch seine überwältigende Großzügigkeit hinweggefegt.
In den folgenden Tagen zeigten wir ihm deshalb so viel wir konnten: Die Quelle, oben am steilen Hang und den Wasserfall am Anfang des Areals, die Bachläufe, mit den riesigen Bambussträuchern an ihren Ufern. Wir standen gemeinsam auf steilen Felsen und genossen die Aussicht auf den unberührten Elefantenwald.

Nach ein paar Wochen, auf einer der Wanderung durch den Medizingarten, war er seltsam schwermütig. Er sagte plötzlich in resigniertem Ton:
Er wisse eigentlich gar nichts. Urwald aufzuforsten sei nicht das Anliegen seines verstorbenen Vaters, von dem er geerbt hätte, gewesen und das Gericht in Delhi würde so langsam arbeiten, so dass er gar nicht wüsste, wann er eigentlich an sein Geld käme.

„Du das Gesicht von ihm ändert sich, es verschiebt sich“ sagte S. an jenem Abend.

Der sich vertraulich gebende Fremde gab in den folgenden Wochen zu verstehen, dass er sich nicht für Yoga interessiere. „Es wirkt nicht bei mir!“, sagte er und blieb oft in seinem Zimmer, er würde malen und schreiben. Meistens aber studierte er die Nachrichten im Internet auf der Küchenveranda. Fast jeden Morgen, wenn ich zum Frühstück hochkletterte, sah ich ihn vor dem Lap-top sitzen. Noch bevor ich nach Luft ringend, den steilen felsigen Pfad, an dessen Ende unsere Küche steht, hinter mich gebracht hatte, rief er mir zu:

„Guten Morgen, was für ein grandioser Tag, wie perfekt ist alles. Wie geht’s Dir heute?“
„Ganz ok!“, sagte ich darauf hin zögerlich, etwas genervt auf seine, mir aufgesetzt und unnatürlich erschienene Heiterkeit, die es unmöglich machte, ihm in die Augen zu sehen.
„Deutschland schickt den Leopard-panzer in die Ukraine!“, oder andere Neuigkeiten schleuderte er mir herausfordernd entgegen, sobald ich am Tisch saß. Er will wissen was ich denke, denn ein ironisches Lächeln huschte bei den Bemerkungen über seine Züge. Dann suchte er das Gespräch, wollte ganz ernsthaft wissen, ob die Deutschen sich vor dem Krieg fürchteten.
„Ich bin nicht wie die Deutschen, ich kann nicht für die Deutschen antworten“, sagte ich knapp.
„Ja klar, das ist mir bewusst“, ein leichter kumpelhafter Ton seinerseits. Er änderte das Thema:
„Wann fahren wir mit dem Auto nach Kodai hoch, ich will dich und S. einladen!“
So eine Essenseinladung ersetzt nicht, dass du hier Miete zahlen musst, dachte ich ohne ihm das zu sagen. Das übernahm dann S., der sagte ihm was der Preis normalerweise für eine Nacht in Base mit Vollverpflegung ist.
Wie konnten wir es wagen, einem, der so groß einsteigen will, nach der popeligen Miete zu fragen, muss er gedacht habe, denn er schien beleidigt und sagte:
„Dann gehe ich gleich!“ Hatte er tatsächlich gedacht, umsonst hier zu essen und zu wohnen mit dem Versprechen groß hier mit Finanzspritzen einzusteigen?

Ich legte ich ihm eine Rechnung hin, und gab ihm einen massiven Preis Erlass, da er sich ja als künftiger Förderer von Base vorgestellt hatte. Er meinte etwas spitz, wie großzügig wir wären.

Er blieb insgesamt fast fünf Wochen, bis wir ihm erklärten, er könne nicht bleiben, wenn die Gruppe zum Yogalernen käme. Auch hier machten wir eine Ausnahme und ließen ihn noch zwei Nächte umsonst in seinem Zimmer bleiben, die anderen rückten zusammen. Ein forest officer, dem er telefonisch angeboten hatte, die Adivasis mit dem Bau einer Wasserleitung im Dschungel zu unterstützen, konnte ihn statt dienstags erst donnerstags in Palani abholen.

Er wolle jetzt das Geld per Internet an uns überweisen, sagte er am Tag vor der Abreise großmütig. Wir sollten uns bitte neben ihn setzten und es zur Kenntnis nehmen. Wieso brauchte er uns dafür, die Rechnung zu zahlen? Er aber wollte klar machen, dass er nicht gern gab aber jetzt trotzdem etwas bezahlte.

Danach begann er ein seltsames Gespräch mit mir. Er zeigte mir den Tesla im Netz, den er sich schon bestellt hatte. Ein Transporter, er sei aber kugelsicher. Ich dachte, wow, das sieht ja aus wie ein Rennwagen und ersetzt den klobigen Lastentransporter. Er fügte wieder mit einem sarkastischen Lächeln hinzu:
„Klar habe ich ein Gewehr, jeder bei uns kann sich in einem Gebrauchtwarenladen ein Gewehr kaufen. Ich weiß, wie man schießt. “ Ich spürte eine unterdrückte Gewalt in seinen Aussagen. Etwas sehr Dunkles legte sich über die Szene. Unpassend zu unserer Bereitschaft, unsere Kraft diesem Platz zu geben und der Natur zu dienen, nimmt er nur, fordert Aufmerksamkeit wie alle, die sich ein Gewehr anschaffen, dachte ich.

Am Donnerstag als er packte ignorierte er mich und redete auf die Neuangekommenen mit einer massiven Präsenz ein; erzählte von seinen Projekten, die er im Urwald bei den noch ihm unbekannten Stammbevölkerung bald unterstützen wolle. Er redete pausenlos, dass alle ihn bewundert ansahen.

„Als er später mit seiner Tasche an mir vorbeilief, fragte ich:
„Bist du schon abfahrbereit?“
„Nein, noch nicht, da ist noch einiges zu erledigen.“

Dann war er plötzlich weg. Ohne sich zu verabschieden. Ich hörte in meinem Zimmer, dessen Tür offen stand, wie der Automotor an der Ausfahrt weit oben ansprang und sich das Motorengeräusch eines Taxis sich fortbewegte. Von den Nachbarn, die er durch uns kennengelernt hatte, hörte ich zwei Tage später: Er wäre gut in Delhi angekommen. Dort wolle er es sich gut gehen lassen und in ein paar Tagen nach Hause reisen.
Von unserem Freund hörten wir, das er ihn umsonst durch Indien zu vielen Projekten gefahren hatte, wo er überall seine finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt hatte und nach einer weile des kostenlosen Dabeisein abreiste. Unser Freund sagte:
„So haben es die Missionare in unserem Land einst gehalten, sie kamen mit großen Versprechen und lebten auf unsere Kosten.“

Sind gespannt, ob und mit welcher Unterstützung er sich nochmal meldet!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert